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‚Verstecken Sie sich nicht hinter Ihrer Geschichte‘

‚Verstecken Sie sich nicht hinter Ihrer Geschichte‘

Im Januar stellten sich deutsche Staatsführer auf, um eine dramatische Veränderung in der Außenpolitik zu verkünden. Der Präsident, der Außenminister und die Verteidigungsministerin verkündeten allesamt, dass Deutschlands Periode der Zurückhaltung nach dem 2. Weltkrieg vorbei sei; die Geschichte der Nation sollte nicht länger eine Ausrede für Untätigkeit sein. Dass das deutsche Militär wie jedes andere agieren sollte: Es sollte vorbereitet sein, sich an ausländischen Einsätzen zu beteiligen, genau wie Frankreich, Großbritannien und die Vereinigten Staaten.

Ein wichtiger Grund für diese Neuerung ist offensichtlich: Amerika befindet sich im Rückzug und drängt Europa und Deutschland, ihren Platz einzunehmen.

In den letzten Jahren hat Washington immer wieder Europa und Deutschland dazu gedrängt, im Ausland mit mehr Macht vorzugehen. Bei der Münchner Sicherheitskonferenz 2013 riet US-Vizepräsident Joe Biden Europa, „der großen Versuchung, Verpflichtungen bei den Verteidigungsausgaben nicht nachzukommen, zu widerstehen.“ Und weiter sagte er: „Europa ist der Eckpfeiler unseres internationalen Engagements für unsere globale Zusammenarbeit.“

Beinahe jedes Mal, wenn die NATO zusammenkommt, nützt Amerika die Gelegenheit, Europa zu weiteren militärischen Verpflichtungen zu drängen. Bei einer Rede in Brüssel im letzten September sagte NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen: „Ich denke, dass die europäischen Nationen mehr tun können und tun sollten, um mit Amerika mitzuhalten.“

US-Präsident Barack Obama hat speziell Deutschland zur Intensivierung aufgefordert. Im Jahr 2011 verlieh er der deutschen Kanzlerin Angela Merkel die Freiheitsmedaille des Präsidenten. „Versteckt euch nicht hinter eurer Geschichte“, sagte der Präsident. „Handelt, bitte, so, wie es eurem Gewicht entspricht“, berichtete Die Zeit damals. Der Tagesspiegel umschrieb Präsident Obamas Ansicht auf folgende Weise: „Die Welt hat heute keine Angst vor einem auftrumpfenden Deutschland. Sie ist eher enttäuscht, wenn die Bundesrepublik sich zu sehr zurückhält.“

Europa und Deutschland haben die Nachricht verstanden. Seit einem Jahr bereits haben  Entscheidungsträger und Denkfabriken in Europa ihr Augenmerk auf den Niedergang Amerikas als eine der größten globalen Veränderungen, der sich die EU anpassen muss, gerichtet.

Im Oktober sagte die Außenministerin der EU, Catherine Ashton, dass Amerikas „neues Augenmerk“ für die asiatisch-pazifische Region „bedeutet, dass Europa größere Verantwortung für seine eigene Sicherheit und die seiner Nachbarn übernehmen müsse.“ 

Etwa zur gleichen Zeit erarbeitete der Deutsche Marshall Fonds der Vereinigten Staaten und die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), eine Ideenfabrik, die das deutsche Parlament über Militär- und Sicherheitsangelegenheiten berät, ein Dokument mit dem Titel „Neue Macht, Neue Verantwortung: Elemente einer Deutschen Außen- und Sicherheitspolitik für eine sich verändernde Welt.“ Die Analysten notierten, dass „die Vereinigten Staaten – im Bewusstsein ihrer  reduzierten Ressourcen – klare Signale senden, dass ihr Engagement in der Welt in Zukunft selektiver sein wird, und dass ihre Erwartungen von ihren Partnern dementsprechend höher sein werden. Dies bedeutet, dass Europa, und insbesondere Deutschland, viel mehr Aufgaben und Verantwortungen übernehmen müssen.“

Dies sind nur zwei Beispiele unter vielen. Beinahe jedes Mal, wenn eine europäische Denkfabrik oder ein europäischer Spitzenpolitiker über die Zukunft der europäischen Sicherheit spricht, basiert das auf dieser Tatsache: Die USA reduzieren ihren Einfluss in der Welt, und Europa muss diese Lücke füllen.

Indem Deutschlands Führungskräfte auf der diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz ihre neue Vision für ein schuldfreies Deutschland enthüllten, verwiesen sie auch auf Amerikas Rolle, sie zum handeln zu drängen. 

„Just in diesem Moment überdenkt die einzige Supermacht Ausmaß und Form ihres globalen Engagements“, bemerkte der deutsche Präsident Joachim Gauck. Dies war die erste von zwei Gründen, die er aufzählte, die bedeuteten, Deutschland könne nicht länger mehr „einfach weitermachen wie bisher.“ Der zweite Grund war Europas „Nabelschau“. In anderen Worten, laut Herrn Gauck ist Amerikas Rückzug von der Welt der Hauptgrund, weshalb Deutschland militaristischer werden muss.

Was war die Antwort Amerikas? Dass Deutschland die notwendigen versprochenen Änderungen durchführen soll. „Führen, ich sage das respektvoll, bedeutet nicht, sich in München zu guten Diskussionen zu treffen“, erklärte US-Außenminister John Kerry. „Es bedeutet, auch in schweren Zeiten Ressourcen bereitzustellen. 

Doch seltsamerweise, als er gefragt wurde, ob die USA sich von der Welt zurückziehen würden, sagte Kerry, diese Idee „ist schlichtweg falsch und wird von jeder einzelnen Tatsache darüber, was wir überall in der Welt tun, Lügen gestraft.“ Weiter sagte er: „Ich kann mich an keinen Ort in der Welt erinnern, von dem wir uns zurückziehen, nicht einen.“

Und doch ist es dieser weitgehend anerkannte, weitgehend berichtete Rückzug, der Deutschland überzeugte, seine Strategie zu ändern. Amerika, in seiner Schwäche, will tatsächlich, dass Deutschland die zwei von ihm angefangenen Weltkriege vergisst und wieder militärische Macht anhäuft.

Herbert W. Armstrong äußerte sich, als Amerika mit dieser Strategie vor ungefähr 50 Jahren anfing. „In Amerika sind wir geneigt, jeweils nur einen Feind zu sehen“, schrieb er in der Plain Truth vom August 1959. „In den letzten 13 oder 14 Jahren war der einzige Feind, den wir sehen konnten, Russland. Während des Zweiten Weltkriegs war der einzige Feind, den wir sehen konnten, Deutschland und natürlich das damals mit Deutschland verbündete Japan. Russland war damals unser Verbündeter, dachten wir. 

Aber jetzt, wo Russland unser Feind ist und wir diesen Feind sehen, scheinen wir zu denken, dass Deutschland, Japan und die Nationen, die wir im Zweiten Weltkrieg bekämpft haben, jetzt unsere Verbündeten sind.“ Diese Beobachtung ist heute noch zutreffender: Die Amerikaner tun sich schwer, mögliche Feinde jenseits der Al-Qaida zu erkennen (und sie denken, dass sie sich sogar mit diesen radikalen Islamisten zusammensetzen und verhandeln können). 

 Nach dem Zweiten Weltkrieg baute Amerika Deutschland auf, damit es ein Gegengewicht zum aufsteigenden russischen Imperium bilden sollte, befreite sogar Nazi-Verbrecher, damit diese beim Wiederaufbau der deutschen Industrie helfen konnten. Jetzt führen die USA diesen Prozess noch weiter: Washington will nicht nur, dass Deutschland sein Verbündeter ist; die USA wollen, dass ein von Deutschland geführtes Europa ihr Nachfolger wird – zumindest im Nahen Osten und in Nordafrika.

Wie wird das enden? Wir beantworteten genau diese Frage in der Posaune zweites Quartal 2014, wo wir das „Leben in der postamerikanischen Welt“ untersuchten. Um zu sehen, wie die Welt sein wird, wenn Europa Amerikas Platz einnimmt, lesen Sie: „Die Nächste Supermacht der Welt“. 

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