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Ein Papst als Komplize

Der frühere Papst betet also für die Opfer. Das ist es auch schon fast. Persönliche Reue, Demut, keine Spur davon. Benedikt XVI. hätte die letzte Chance gehabt, Größe zu zeigen, Verfehlungen zuzugeben, Verantwortung zu übernehmenfür den Missbrauch, den Kinder und Jugendliche in seiner Diözese erleiden mussten – aber er hat diese Chance jämmerlich vergeben. Stattdessen beruft er sich auf Unkenntnis und argumentiert mit ungeheuerlichen, rechtlichen Spitzfindigkeiten.

Man darf davon ausgehen, dass die Opfer auf die Gebete des Papstes gut verzichten können.

Dass die katholische Kirche die zahllosen Vergehen an Mädchen und Jungen seit jeher zu verschleiern versuchte, ist keine neue Erkenntnis. Dies haben schon frühere Gutachten in verschiedenen Bistümern ans Licht gebracht. Doch was eine Anwaltskanzlei nun auf 1900 Seiten über die Zustände im Erzbistum München beschreibt, erschüttert den Klerus noch einmal besonders heftig. Weil nun auch ein früherer Papst nachweislich in den Skandal verstrickt ist. Und weil auch dem aktuellen Münchner Erzbischof Kardinal Reinhard Marx Fehlverhalten belegt werden kann.

Fast 500 Opfer wurden allein in München für die Zeit von 1945 bis 2019 ausgemacht, die Dunkelziffer dürfte noch viel größer sein. Die Gutachter sprechen von einer »Bilanz des Schreckens«. Zum Schrecken gehört, dass die Kirche bis hinauf zu ihren obersten Repräsentanten ein menschenverachtendes System des Vertuschens etabliert hat. Nie ging es ihr um die Opfer, immer nur um den Selbsterhalt, selbst dann noch, als sich in der Öffentlichkeit das ganze Ausmaß der Verbrechen abzeichnete.

Und jetzt? Kardinal Marx, der frühere Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, wollte schon im Juni letzten Jahres gehen, wollte Verantwortung übernehmen für das institutionelle Versagen der Kirche in den Missbrauchsskandalen. Papst Franziskus lehnte das Rücktrittsgesuch ab, das Marx mit der Diagnose verband, die Kirche sei an einem »toten Punkt« angekommen.

Toter als tot geht nicht – oder doch? Gut möglich, dass Marx nun noch einmal um seine Demission bittet. Die Kirche, der in den letzten zehn Jahren schon Millionen Gläubige den Rücken gekehrt haben, wird das nicht retten, genauso wenig wie die »Scham«, die Würdenträger nun gern öffentlich bekunden, als hätte sie die Wirklichkeit völlig überrascht.

Wer soll dieser Kirche noch glauben?