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Heute Schweden, morgen Deutschland

johan nilsson/tt/afp/getty images

Heute Schweden, morgen Deutschland

Deutschland sollte einen guten Blick darauf werfen, wie die Zuwanderung seinen Nachbarn im Norden verändert hat.

Von allen Ländern der Europäischen Union entsprach Schwedens Haltung in der Einwanderungsfrage am ehesten der Haltung Deutschlands. Auch Schweden hieß Migranten mit offenen Armen willkommen. Auch in Schweden wurde das überwältigende Mitgefühl der Bevölkerung mit den Ankommenden sichtbar. Schlagzeilen berichteten davon, wie die Nation ihnen zur Hilfe eilte. Schweden nahm in Europa die höchste Zahl an Einwanderern pro Kopf auf – 2015 waren es über 160.000.

Wie auch in Deutschland wurden massenhafte Sexualstraftaten muslimischer Einwanderer von der schwedischen Polizei, der Regierung und den Nachrichten unter den Teppich gekehrt. Die Behörden sprechen nur ungern über Kriminalität unter Einwanderern. Negative Berichterstattung über zehntausende Migranten ist unerwünscht.

Die Gegenreaktion jedoch kam in Schweden schneller als in Deutschland. Das schwedische Volk hat genug von der Welle an Kriminalität, die mit den Migranten Einzug hielt. Jetzt müssen sich die Neuankömmlinge auf einen nordischen Winter in Zeltstädten einstellen. Brandstiftungen in Flüchtlingszentren gehören langsam zur Tagesordnung. Die Regierung weiß, dass sie die Lage nicht mehr im Griff hat.

Das Resultat: Schweden sah sich zu einer 180-Grad-Wende gezwungen. Es gab derart schwerwiegende Probleme, dass die Politiker, die für eine offene Einwanderungspolitik gewesen waren, sich nun gezwungen sahen, anzuerkennen, dass die Tür nicht weiter offen gehalten werden kann.

„Es schmerzt mich, dass Schweden nicht mehr in der Lage ist, Asylsuchende in einem solch hohen Maße aufzunehmen wie bisher“, sagte Ministerpräsident Stefan Löfven im November. „Wir können es schlichtweg nicht mehr tun.“

Schwedens stellvertretende Ministerpräsidentin Åsa Romson (Grüne) brach in Tränen aus, als sie die Änderungen ankündigte. „Diese Entscheidung ist furchtbar“, sagte sie. Sie schied allerdings nicht aus der Regierung aus und trug somit die Entscheidung nichtsdestotrotz mit.

Schwedens Grenzen waren in der Vergangenheit weit geöffnet. 15 Jahre lang konnten Skandinavier über die Öresund-Autobahn- und Eisenbahn-Brücke frei zwischen Schweden und Dänemark verkehren. Das lief so einfach und reibungslos, dass viele Menschen täglich von Schweden nach Dänemark pendeln.

Diese Zeit ist nun vorbei. Grenzkontrollen sorgen für lange Wartezeiten. Von Kopenhagens Hauptbahnhof aus fährt kein Zug mehr direkt nach Schweden. Mit den Kontrollen enden 60 Jahre Passkontrollfreiheit zwischen Schweden und Dänemark.

Schwedens Politiker beabsichtigen nun, in der Versorgung der Flüchtlinge nur noch das Nötigste zu unternehmen. „Schwedens Willkommensteppich liegt nun in Scherben“, schrieb die Washington Post. „Überwältigt von der Flut an Menschen im Jahr 2015 führt die Mitte-links-Regierung nun zusätzliche neue Grenzkontrollen ein und kürzt die Flüchtlingsversorgung. Damit sendet sie ein unmissverständliches Zeichen an alle Flüchtlinge, die mit dem Gedanken spielen, die lange Reise nach Schweden im neuen Jahr auf sich zu nehmen: haltet euch fern“ (30. Dezember 2015).

Den neuen Maßnahmen zum Trotz hinterlässt die Flüchtlingskrise deutliche Spuren in Schwedens politischer Landschaft.

Im September 2014 gewannen die einwanderungskritischen Schwedendemokraten 12,9 Prozent der Stimmen – und wurden damit Schwedens drittstärkste Partei. Schon allein dieses Ergebnis galt als erschreckend. Im Jahr 2006, in der Zeit vor der Finanzkrise, kam dieselbe Partei auf gerade einmal 2,9 Prozent der Wählerstimmen – und landete damit an achter Stelle.

Eine Umfrage von YouGov am 19. November brachte zutage, dass die Schwedendemokraten aktuell 26,7 Prozent aller Stimmen erhalten würden. Diese von vielen Linken als extremistisch und am rechten Rand klebend betrachtete Splitterpartei erhob sich aus dem Nichts und wurde prompt zur beliebtesten politischen Partei des Landes. Ihr nächster Konkurrent, die Sozialdemokraten, landete in der Umfrage bei nur 21,4 Prozent.

Seit Schwedens Grenzen geschlossen wurden, nimmt die Beliebtheit der Schwedendemokraten wieder ab. In Umfragen pendeln sie um die 20 Prozent – was sie weiterhin Kopf an Kopf mit Schwedens alteingesessenen Parteien positioniert.

Deutschland hat den Weg Schwedens eingeschlagen. In allen Phasen entschieden sich beide Länder bisher, der Flüchtlingskrise auf dieselbe Weise zu begegnen. Schweden lässt uns sehen, was in absehbarer Zeit auf Deutschland zukommen wird. Dabei wird Deutschlands Antwort jedoch ungleich stärkere Auswirkungen auf die Welt haben.

Deutschland ist das wirtschaftlich bedeutendste und einwohnerstärkste Land Europas. Es beherrscht die EU und liegt im Zentrum der Flüchtlingskrise. Zwischen September 2014 und September 2015 wurden ein Drittel aller Asylanträge innerhalb der EU in Deutschland gestellt.

Das erschwert es Deutschland spürbar, Lösungen für die Flüchtlingskrise zu finden. Schweden kann einseitig handeln – Deutschland muss dem Problem auf EU-Ebene begegnen.

Seit Anfang 2016 tendiert Deutschlands Antwort in dieselbe Richtung wie Schwedens. In den ersten 12 Tagen des Jahres wies Deutschland an der österreichischen Grenze mehr Flüchtlinge zurück als im gesamten Vorjahr. Kanzlerin Angela Merkels Überzeugungen im Hinblick auf die Flüchtlingskrise haben sich nicht verändert, aber das politische Klima im Zusammenspiel mit den konkreten Herausforderungen, die damit einhergehen, eine solche Anzahl an Menschen aufzunehmen, zwingen Berlin mittlerweile, seine Politik zu ändern.

In der Zwischenzeit fährt Deutschlands Variante der Schwedendemokraten – die Alternative für Deutschland (AfD) – ungeahnte Erfolge ein im Windschatten der Vorfälle in Köln. Eine Umfrage der Bild ergab, dass die AfD, wären heute Wahlen, 11,5 Prozent aller Stimmen erhalten würde. Diese Partei trat zum ersten Mal in der Bundestagswahl 2013 an und erzielte damals 4,7 Prozent aller Stimmen. Sie scheiterte an der 5-%-Hürde und erhielt keinen Sitz im Bundestag.

Das heißt nicht, dass Deutschland Schweden Schritt für Schritt folgen wird. Das Beispiel seines Nachbarn im Norden macht allerdings deutlich, dass Deutschlands aktuelles Bestreben sich als ebenso wenig tragbar erweisen wird. Allein die konkrete, praktische Herausforderung, eine solche Menge an Migranten aufzunehmen, wird einen deutlichen Wandel nach sich ziehen.