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‚Es ist Zeit für Deutschland, die Führung zu übernehmen‘

Gauck_Getty Images

‚Es ist Zeit für Deutschland, die Führung zu übernehmen‘

Die Bekanntgabe von Deutschlands umgestalteter Außenpolitik erreichte neue Höhen auf der 50. jährlichen Münchner Sicherheitskonferenz, welche am ersten Wochenende im Februar stattfand. Diese wichtige Konferenz bringt die bedeutendsten Staatenführer, Denker und Politiker der Welt zusammen, um die dringendsten Herausforderungen zu erörtern, denen die internationale Gemeinschaft gegenübersteht. Die diesjährigen Teilnehmer erforschten neben anderen Sachthemen, die Krise in Syrien und der Ukraine, die Beziehungen zwischen den USA und Europa, sowie die Zukunft der europäischen Verteidigung. Während all der Erörterungen zog sich indes ein bestimmtes Thema durch die gesamte dreitägige Konferenz.

Dieses Thema wurde von Joachim Gauck, Deutschlands Präsident, in einer Eröffnungsrede vorgegeben, welche sich auf „Deutschlands Rolle in der Welt“ bezog. Gaucks Rede, obwohl reumütig und selbstlos in Sprache und Ton, lieferte den schlagenden Beweis für ein stärkeres, durchsetzungsfähigeres Deutschland. Der Kern dieser Aussage war: die Welt braucht uns; wir wären selbstsüchtig, versagten wir einfach anderen die Hilfe. Mehr als alles andere war Gaucks Aussage ein aufrichtiger Appell an 80 Millionen Deutsche, ihren Pazifismus abzulegen und der deutschen Regierung den Rücken zu stärken bei ihrem selbstlosen Dienst an der Menschheit.

„Wir Deutschen sind auf dem Weg zu einer Form der Verantwortung, die wir noch nicht eingeübt haben“, sagte er. Wir leben in einer „Welt, in der ökonomische und politische Macht wandert und ganze Regionen aufrüstet. Im Nahen Osten drohen sich einzelne Feuer zu einem Flächenbrand zu verbinden. Just in diesem Moment überdenkt die einzige Supermacht [Amerika] Ausmaß und Form ihres globalen Engagements …“ Deutschland muss reagieren: „Im Zuge dieser Entwicklungen zu glauben, man könne in Deutschland einfach weitermachen wie bisher - das überzeugt mich nicht“, sagte Gauck.

Laut Gauck ist Deutschlands Aufstieg unvermeidbar. „Auf dem Weg zu einem Garanten der internationalen Ordnung und Sicherheit bewegt sich Deutschland nun schon im 24. Jahr“,  sagte er (Hervorhebung hinzugefügt). 

Präsident Gauck sprach auch die Frage über Berlins Anwesenheit in globalen Schlüsselregionen an – die Folgerung, dass Deutschland einfach nicht genug tut. „Tun wir, was wir könnten, um unsere Nachbarschaft zu stabilisieren, im Osten wie in Afrika? Tun wir, was wir müssten, um den Gefahren des Terrorismus zu begegnen? Und wenn wir überzeugende Gründe dafür gefunden haben, uns zusammen mit unseren Verbündeten auch militärisch zu engagieren, sind wir dann bereit, die Risiken fair mit ihnen zu teilen? Tun wir, was wir sollten, um neue und wiedererstarkte Großmächte für die gerechte Fortentwicklung der internationalen Ordnung zu gewinnen? Ja, interessieren wir uns überhaupt für manche Weltgegenden so, wie es die Bedeutung dieser Länder verlangt? Welche Rolle wollen wir in den Krisen ferner Weltregionen spielen?“ 

Gaucks Antwort? „Ich meine: Die Bundesrepublik sollte sich als guter Partner früher, entschiedener und substantieller einbringen.“  

Der Präsident sprach auch offen den Hauptgrund von Deutschlands Zurückhaltung von einer größeren militärischen und politischen Behauptung an: die Scham und Schuld, welche manche Deutsche nach wie vor wegen des Zweiten Weltkriegs empfinden. „Ich muss wohl sehen, dass es bei uns – neben aufrichtigen Pazifisten – jene gibt, die Deutschlands historische Schuld benutzen, um dahinter Weltabgewandtheit oder Bequemlichkeit zu verstecken“. Mit anderen Worten, Deutschland muss das Schuldgefühl ablegen und aufhören, sich hinter dem 2. Weltkrieg zu verstecken!

Er machte diesen Punkt nochmals in seiner Schlussbemerkung unmissverständlich klar, erneut spezifisch das deutsche Volk ansprechend: „… möchte ich eine Bitte an uns Deutsche richten: dass auch wir diesem grundlegend gebesserten Land zuallererst in der Grundhaltung des Vertrauens begegnen. Es gab für die Nachkriegsgenerationen Gründe, misstrauisch zu sein – gegenüber der deutschen Staatlichkeit wie gegenüber der Gesellschaft. Aber die Zeit eines ganz grundsätzlichen Misstrauens ist vorüber.“ Gauck glaubt, dass Deutschland vollständig bereut und für den Zweiten Weltkrieg gesühnt hat, und dass es Zeit ist, dass die deutsche Öffentlichkeit aufhört, der Vergangenheit nachzuhängen. Wir müssen „Zutrauen und Vertrauen zu uns selber haben“, erklärte er. 

Viele betrachteten Gaucks Rede als bahnbrechend.  Günther Nonnenmacher, Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeine Zeitung, schrieb, dass Gauck „möglicherweise das maßgebende Wort in der Debatte über die deutsche Außen-und Sicherheitspolitik gesprochen hat.“

Gauck war nicht der einzige deutsche Staatsmann, der eine Umgestaltung der deutschen Außenpolitik befürwortete. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen trat als Nächste auf, und setzte da fort, wo er aufgehört hatte. Sie betonte den Bedarf an größerer Integration von Sicherheit und Militär zwischen europäischen Nationen. Sie erinnerte ebenfalls an einige der vielen globalen Krisen, in Syrien, Libyen und Afrika, bevor sie erklärte: „Daher ist Abwarten keine Option. Wenn wir über die Mittel und Fähigkeiten verfügen, dann haben wir auch eine Verantwortung, uns zu engagieren.“

Außenminister Frank-Walter Steinmeier äußerte sich ebenfalls und hob gleichfalls die dringende Notwendigkeit einer selbstbewussteren Außenpolitik hervor. „Deutschland ist zu groß, um Weltpolitik nur von der Außenlinie zu kommentieren“, verkündete er. Er umriss sieben geeignete Thesen für Deutschland. Eine lautete: „Deutschland muss bereit sein, sich außen- und sicherheitspolitisch früher, entschiedener und substanzieller einzubringen.“ Eine andere enthielt die Zusicherung, dass Deutschland  bei globalen Problemen „konkrete“ Hilfestellung statt lediglich „Empörungsrhetorik leisten müsse.“ In einer weiteren bekundete er: „Deutschland will und wird Impulsgeber sein für eine gemeinsame europäische Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik“. In einer anderen kritisierte Steinmeier Deutschlands „Kultur der Zurückhaltung“ und empfahl, Berlin müsse sich besser vorbereitet und gewillter zeigen, militärisch zu handeln, wenn dies erforderlich sei. 

Diese sind dramatische Ausführungen, und sie kommen von Deutschlands höchsten Staatenlenkern. Sie sollten weit größere Aufmerksamkeit erhalten haben! 

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